Das Schicksal der weissrussichen Juden 
im „Generalkommissariat Weissruthenien"

Bernhard Chiari

Der historische Rückblick macht die herausgehobene Stellung deutlich, die den Juden vor 1939 in Ostpolen und der BSSR zukam. Antisemitische Traditionen lassen sich für Polen, aber in schwächerem Ausmass auch für die Sowjetunion nachweisen. Die sowjetische Annexion Ostpolens 1939 erzeugte neue Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen und bezog auch die Juden in die «Gleichschaltung» der vergrösserten Weissrussischen Sowjetrepublik mit ein. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Sommer 1941 begannen die deutschen Behörden mit der Isolierung, Entrechtung und schliesslich mit der planmässigen Ermordung der weissrussischen Juden. Obwohl der Antisemitismus in der Bevölkerung schwächer entwickelt war als etwa im Baltikum, stiessen diese Massnahmen nicht nur auf Ablehnung. Auch unter den Polen und Weissrussen fanden sich Helfer, die die deutsche Vernichtungspolitik unterstützten. Diese Form der Kollaboration ist quantitativ kaum zu beziffern. Der deutsche Terror, eine menschenverachtende Besatzungspolitik und die enorme materielle Not der Bevölkerung verstärkten die Tendenz, vom Elend der schwächsten, ausgegrenzten Gruppe zu profitieren. Unter den Bedingungen der Okkupation waren Mut und Todesverachtung notwendig, um jüdische Nachbarn vor der Vernichtung zu retten.